«Rychenberg Competition»
Das Musikkollegium Winterthur hat
einen internationalen Kompositionswettbewerb ausgeschrieben, bei dem meine Orchesterkomposition
„Die liegende Sanduhr“ nominiert wurde.
Hier findest du Hintergründe und
persönliche Gedanken zur Komposition, zur Fotoserie und zu meiner Teilnahme
am Wettbewerb.
Der
Wettbewerb
Die
Nomination bei der «Rychenberg Competition» hat mich riesig gefreut, einerseits weil ich sehr
viel Herzblut in meine Orchesterkomposition „Die liegende Sanduhr“ gesteckt
habe, andererseits weil der Wettbewerb eine weite, internationale Ausstrahlung
hat. Deine Stimme für meine Komposition bedeutet mir deshalb viel.
Meinem Stück die
Stimme zu geben ist möglicherweise eine kühne, zumindest etwas ungewisse
Entscheidung. Die Aufnahme,
welche auf der Webseite des Wettbewerbs zu hören ist, ist nämlich achtfach beschleunigt. Das
gehört zum Konzept. Das „liegende Sandührchen“ dauert so nur noch etwas mehr
als 2 Minuten und die Musik ist durch diese Beschleunigung zur Unkenntlichkeit
verfremdet. Doch falls diese Aufnahme den Reiz in dir weckt, das Stück in
voller Länge zu hören, dann bist du vielleicht wie ich voller Hoffnung, dass „Die liegende Sanduhr“ am
Preisträgerkonzert im Juni 2020 gespielt wird.
Die Fotoserie
Fotoserie find a way or make
one
von ANASTASIA
MITYUKOVA
Die
Werke der Serie find a way or make one hinterfragen
die stereotypische Sicht auf die Arktis und wie verschiedene Typologien von
Bildern eine Landschaft formen. Mit Ansichten von Webcams, Überwachungskameras
und Fotografien, die Anastasia Mityukova auf dem
Flohmarkt gefunden hat, kreiert sie eine eigene Betrachtungsweise dieses fernen
Ortes, ohne je selbst vor Ort gewesen zu sein.
Auf dieser Seite der «Rychenberg Competition» können die faszinierende Fotoserie von Anastasia Mityukova betrachtet und ihre Gedanken dazu gelesen werden.
Die Komposition
"Die liegende Sanduhr"
Eine Fraktalkomposition für
Orchester
Zur Fotoserie "Find a way
or make one"
von Anastasia Mityukova
Das Orchesterstück
„Die liegende Sanduhr“ ist für die Rychenberg Competition und für das Musikkollegium Winterthur
geschrieben und bezieht sich auf die Fotoserie „FIND A WAY OR MAKE ONE“ von
Anastasia Mityukova.
Das Konzept von Anastasia Mityukovas Fotoserie hat etwas äusserst Musikalisches. Es
ist ein Spiel in Raum und Zeit.
„Find
a way“
Anastasia
Mityukova geht ihren Weg nicht einfach. Sie findet
ihren Weg,
„...or make one“
indem sie ihn selber kreiert und gestaltet.
Durch ihre Werke betrachtet sie einen
fernen Ort, ohne dass sie je selbst dort gewesen wäre.
Dieses Gedankenspiel hat mich auf
Anhieb fasziniert. Denn als komponierende Person bin ich innerhalb des
Arbeitsprozesses auch nie wirklich vor Ort. Ich gestalte mit einer Komposition
eine Art Organismus, der immer erst eine gewisse Zeit nach meiner Arbeit zur klingenden
Wirklichkeit wird. Und wenn die Musik erklingt, ist sie so flüchtig wie kaum
eine andere Kunstform. Sie erklingt, gestaltet einmalig irreversible
Zeitstränge und verflüchtigt sich sofort wieder.
Anastasia Mityukovas
Werke zeigen auf, inwiefern die Vorstellungskraft genügen kann einen Gedanken
wahrhaftig werden zu lassen. Und genau diese Imagination macht den Zauber ihrer
Werke aus! Die Fotografien von Anastasia Mityukova
geben etwas vor. Und sie zeigen gleichzeitig mehrere Wirklichkeiten. Diese Grundidee
von mehreren Wirklichkeiten habe ich in „Die liegende Sanduhr“ versucht auf die
Musik zu übertragen.
Mustererkennung, sei dies bei
optischen oder akustischen Signalen, ist ein aktiver Prozess. Für die Rezeption
eines Kunstwerkes wird im Bereich zwischen Musterlosigkeit (in der Akustik wäre
dies das Rauschen) und Periodizität beziehungsweise Symmetrie ein gewisses
Mittelmass an Entropie erwartet, ansonsten droht das Werk an Sinn und Reiz zu
verlieren. Das Stück „Die liegende Sanduhr“ ist indessen von den Extremen
inspiriert: Die Musik reicht von geräuschhaft-amorph bis hin zu höchster
struktureller Dichte. Und die Zeit, die „Wahrnehmungsgeschwindigkeit“ spielt
beim Auffassungsprozess dieser Unterschiede eine ganz wesentliche Rolle.
Gerade weil die Einspielung der
Komposition und die Online-Veröffentlichung im Falle einer Nomination
integraler Bestandteil des Wettbewerbs sind, ergab sich hier eine nahezu
einmalige Gelegenheit, die Andersartigkeit von Aufführung und Einspielung zu
verstärken. Durch die Stauchung der Musik durch das Time-Stretching werden
nicht nur einzelne Strukturen unerkennbar gemacht, es werden ebenso neue Muster
zugänglich. Als Beispiel sei hier das Wahrnehmen von Rhythmus genannt: Während
bei langsam voranschreitender Musik gegebenenfalls nicht einmal ein Puls
spürbar ist, können bei derselben Musik – wenn sie stark beschleunigt ist –
plötzlich rhythmische Muster erkennbar werden.
Demgemäss werden sich auch die
amorphen Klänge im Zentrum des Stücks, oder die beiden Räume davor und danach
in ihrem Ausdruck und in ihrem Bau unterschiedlich erschliessen lassen, denn...
Zwei Bemerkungen zu
Titel und Untertitel:
...der Titel "Die liegende
Sanduhr" spricht auch bildlich über das Stück. Die Gesamtform der
Komposition kann durchaus mit dem Anblick einer liegenden Sanduhr verglichen
werden: Der erste Raum oder die erste Hälfte des Stücks stellt eine Art Suche
nach dem eigenen Weg dar. Im Zentrum der Komposition verengt sich die Musik in
vielerlei Hinsicht auf ein Minimum, sie wird gebündelt und trichterartig
kanalisiert, um danach in eine neue Welt aufgehen zu können.
Fraktale
(selbstähnliche) Strukturen als formgestaltendes Element in der Musik
faszinieren mich. Das vorliegende Stück Musik ist ein Fraktal. Die Gesamtform
der Komposition habe ich in einzelne Abschnitte und selbst in kleinste Motive
eingebunden; damit ähnelt sich das Stück selbst und die Grossform
wiederspiegelt seine Einzelteile.
Fabian Künzli, 2019